Bewegung 2004
Der Monat November wird von den meisten Menschen als sehr trist, kalt und trüb wahrgenommen; besonders wenn es nach der Zeitumstellung früher dunkel wird, wenn sich der Herbst verabschiedet und die Bäume kahl sind. In diesem Monat wird der Toten im Besonderen gedacht durch Allerseelen, Volkstrauertag und Totensonntag. Schon im Altertum haben sich zu dieser Jahreszeit die "Lebensgeister" zurückgezogen und die Götter der Vegetation wurden in die Unterwelt entführt. Der Mensch steht allein mit seiner Trauer, der Ungewissheit über die kommende Zeit, aber auch der Sehnsucht nach einem Neubeginn im nächsten Frühjahr.
In diesem Zusammenhang steht auch meine Auswahl eines Bildes für diesen Monat.
Es ist ein Bild aus der mehr oder weniger zusammenhängenden Serie der "Männelbilder".
Das Bild heißt "Bewegung 2004". Zu sehen sind Figuren, die lustig daher springen und sich die Bälle
zuspielen. Bei genauerer Betrachtung sieht man aber auch, dass sich manche Figuren eher oder auch nur
mit sich selbst beschäftigen. Sie posieren, üben einen Auftritt oder bespiegeln sich selbst.
Dem Bildaufbau liegt ein Raster zugrunde, dass jeder Figur einen teilweise offenen, dennoch individuell
abgegrenzten Raum zuteilt. Manche dieser Räume sind sehr deutlich voneinander abgegrenzt, bei anderen
verschwimmen die Grenzen zum Nachbarn. Einige Figuren fallen aus diesen Feldern oder wollen heraus
steigen und nehmen dabei eine sich abzeichnende Verletzung einer anderen Figur durchaus in Kauf. Manche
Figuren tragen andere (vielleicht Schutz-) Kleidung, die sie herausheben oder hinter der sich eine
Aggressivität gut verstecken lässt. Andere verschwinden fast in den Farben ihres Raumes. Die Farben sind
die Farben des Herbstes. Sie wechseln von erdig-braun über beruhigend-blau hin zu impulsiv-rot. In
einigen Räumen sind gleich alle Farben vertreten.
Das Raster des Bildes gibt einerseits Halt, ist aber bei genauerer Betrachtung bereits in Begriff zu
kippen. Die oberflächliche Geschäftigkeit täuscht über eine sich verändernde Grundlage noch hinweg.
Das Bild wirkt vital und temperamentvoll. Doch beim zweiten Blick darauf auch etwas traurig, denn
letztlich beschäftigen sich die Figuren doch nur mit sich selbst und verlassen nur ungern ihr sicheres
Terrain.
Da ist noch ein Feld auf diesem Bild, dass so gar nicht dazu zugehören scheint. Auf diesem Feld ist
keine der Männelfiguren zu sehen. Links unten erkennt man einen Bogen oder eine Tür. Hinter dieser Tür
ist es Hell. Für die Figuren des Bildes ist es wohl nur ein kleiner Schritt aus ihrem Feld herauszutreten
hin zu und durch diesen Bogen. Dazu müssen sie aber ihren Standpunkt oder Bewegungsradius verlassen und
gegebenenfalls in direkten Kontakt zu den anderen durch deren Behausungen gehen. Sie würden "aus dem
Raster fallen", den Nachbarn nicht nur bedrängen, sondern vertreiben und vielleicht noch eine
"Völkerwanderung" in Gang setzen. Es würde nicht mehr viel bleiben von einer gewissen - wenn auch schon
fragilen - Ordnung. Aber was ist hinter der Tür eigentlich zu erkennen? Außer Helligkeit und Licht nicht
sehr viel. Helligkeit und Licht in einem dunklen Raum oder etwa auch in einer dunklen Jahreszeit sind
beruhigende Hoffnungszeichen. Bei Licht sieht man, mit Licht tankt man auf, überwindet Angst und
Depression. Das wussten auch die Menschen im Altertum, die mit Fackeln des Nachts die Tempel
beleuchteten, damit die Götter bei ihnen blieben. Das wussten die Bergleute unter Tage im Stollen, die
sich nach dem Lichtloch, dem rettenden Ausgang gesehnt haben. Und das wissen Christen, die in der
Dunkelheit auf den leuchtenden Stern warten und ihre Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung im
aufgehenden Licht des Ostermorgens finden können.
Das Bild trägt auch den Untertitel "Offene Tür - Ostern" und ist somit ein Lebens- und Hoffnungsbild für
dunkle Tage.
Weitere Bilder dieser ständig wachsenden Serie finden Sie in der Rubrik "Bilder" unter "Männelbilder".
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Ralf Meißner